Elisabeth Endres
Ein Bild aus Bildern, ein wandfüllendes Querformat, streng abgeteilt in fünf Reihen zu je zehn Hochformaten. Nur wenige Farben: dunkel dominierendes Schwarz und Brauntöne auf honigfarbigem Grund, hier und da mischt sich verstohlen etwas Rot darein.
Wie Facetten eines größeren Ganzen wirken die einzelnen Blätter. Und das Ganze mutet dann doch auch ein wenig wie eine Ansammlung von Zetteln an: Botschaften an einem schwarzem Brett, in der Rätselsprache von Traumbildern verfasst. Was wird hier publik gemacht? Wie ist der Wortlaut dieser Botschaften, in die diskursive Sprache übersetzt? Und wer hat sie verfasst?
Es ist das Unbewusste, das in Elisabeth Endres` Komposition aus selbständigen Einzelblättern seine dringenden Mitteilungen in Gestalt von Bilderrätseln an die Wand der Erinnerung gepinnt hat. Hier wie sonst in ihrer Kunst ist der appellative Charakter ihrer Arbeit nicht zu übersehen. So wie eine frühere, Packpapier als Bildträger favorisierende Werkserie ihre Gehalte dem Betrachter – oder besser Empfänger gewissermaßen mit Poststempel zustellt, ruhen die Bildsetzungen der aktuellen Serie nicht monologisch in sich selbst, sondern fallen dem Betrachter als Botschaften mit der persuasiven Kraft des Surrealen an. Dass sie von vergangenem künden, verrät schon die schmale Farbpalette; nicht von ungefähr erinnern die mit Bienenwachs grundierten und anschließend mit Ölfarbe bemalten gelben Blätter eines Auktionskatalogs von 1928 an alte, braunstichige Fotografien. Elisabeth Endres´ Kunst ist in die Honigfarbe der Erinnerung getaucht.
So wie in der menschlichen Psyche Vergangenes gleichzeitig als bewusste Erinnerungsspur und unbewusster Gehalt vorhanden ist, ragen in diesen Blättern Relikte von Lebensgeschichte als Erinnerungsspur und als kryptische Figuren verborgener Seelenbereiche. Wenn durch manch ein Bild der Rabe der Kindheit oder die Zöpfe des Mädchens geistern, so lässt die surreale Note vieler Blätter darauf schließen, dass auch der Feingehalt des Unbewussten nicht gering ist. Schon das künstlerische Verfahren legt den Gedanken nahe. Was die Katalogblätter nämlich ursprünglich zeigen – Abbildungen von Auktionsware wie Möbel, Teppiche, Gemälde – wird nicht allein verfremdend in die Komposition eingebunden. Diese ältere Schicht tritt da und dort durch Ausschabungen nachträglich auch wieder zutage: Vergessenem, Verdrängtem gleich, das die Augen aufschlägt.
In diesem hochexpressiven Traumgesichten der Imagination huschen rattenähnliche Wesen aus leeren Köpfen heraus durchs Bild oder überkommt eine wolfsähnliche Chimäre hinterrücks ein Wandgemälde. Menschliche Gliedmaßen führen, abgetrennt vom Leib, ein Eigenleben; Arme greifen gespenstisch aus Kisten, Hände wie ertrinkend nach der Tischplatte. Und die Dingwelt selbst erwacht zu ungeahntem Leben. Es ist von hohem Reiz, in diesem Album der Erinnerung und des unbewussten zu blättern, das unabgeschlossen und prinzipiell so unabschließbar ist wie das Unbewusste und die Erfahrung; das unaufhörlich wächst und in der vielleicht erst das letzte der Katalogblätter von 1928 einen Schlusspunkt setzen wird.
Hans-Dieter Fronz