Aus Markgräflerland - Künstlerland

Die Bilder der in Leutersberg lebenden Künstlerin Elisabeth Endres führen uns unter die Oberfläche der Erscheinungen. Inhaltlich wie formal. Gern arbeitet sie mit vorgefundenem Bildmaterial, überzieht etwa die Seiten eines St. Petersburger Auktionskatalogs aus den zwanziger Jahren mit einer Schicht aus heißem Wachs, auf das sie vielschichtig malt. Das unterliegende Bild wird dann in Teilen ausgekratzt und quasi zur Fundgrube und zum Impuls neuer Bildideen. Ein quasi archäologisches Verfahren, dass an die Techniken der Dadaisten und Surrealisten erinnert. Auch Elisabeth Endres Kunst folgt gleichsam einer Ecriture automatique. Über die inhaltliche Dimension ihrer Bilder kann und will sich die Künstlerin keine Rechenschaft geben. Und schon gar nicht ihrem Publikum. Unverkennbar berührt sie Tiefenschichten des individuellen und des kollektiven Unbewussten, berührt sie die Welt der Märchen und Mythen. Der Mensch bei Elisabeth Endres ist ein höchst fragiles , existentiell gefährdetes Wesen. Selbst seiner Körperlichkeit scheint er nicht gewiss zu sein. Häufig erscheint er im Zustand der Fragmentierung.

Unsicher tastend nach immer neuen Standorten und Selbstdefinitionen, bleibt er als Figur im Bild doch in hohem Maße unkalkulierbaren äußeren oder veräußerten inneren Kräften unterworfen. Er ist nicht Herr seiner Bewegung, nicht klar konturiert, nicht im Besitz des Körpers. Alles wird fragwürdig. Elisabeth Endres, die am meisten narrative Künstlerin dieser Ausstellung, erzählt keine Geschichten, aber sie betritt mit einigem Mut jenes Angstterrain verdrängter Erinnerungen, enttäuschten Hoffnungen und Vergeblichkeitserfahrungen, die unser Leben unterschwellig determinieren – die wir uns gerade deshalb gern vom Halse halten. Aber sie tut das auf so verführerisch suggestive Weise, dass sich ihre Bilder im Betrachter unwillkürlich einnisten. Dass sie uns verfolgen, ohne sich uns jemals aufgedrängt zu haben. Ein interessanter Vorgang. Endres Bilder kommen auf leisen Sohlen daher, der Schreck erfolgt zumeist erst auf den zweiten Blick. Wenn man etwa die Insekten entdeckt, die auf dem Schädel des Kleinkindes krabbeln und sich – vielleicht – zu den Schmetterlingen verpuppen, die in seinem Kopf flattern.

Schönheit und Belohnung liegen ganz nahe bei einander. Endres erzählt, ich sagte es schon, keine Geschichten. Sie gibt metaphorische Zustandsbeschreibungen. Ihre Bilder sind näher am Gedicht als an der Prosa, obwohl man ihre Liebe zu Kafka, Beckett und Hans Henny Jahnn selbstverständlich in ihre Bildwelt eingeht. Doch illustrieren sie nichts, entwerfen vielmehr fremde, surreale Szenen. Von oft erschreckendem Inhalt: Zwei Köpfe sind durch einen Mundring untrennbar verbunden, der Kuss zweier Münder kann nicht gelingen, weil einer von ihnen verschlingend weit offen steht. Wo sich Paarkonstellationen zeigen, rangiert die Skurrilität vor dem Glücksversprechen.

Eins der zwei schwarzen Pferde knabbert an dem Kranz, der offenbar vom aufgebahrten Körper gerutscht ist. Der aber lebt auf einem Louis Quince- Rollsekretär – ein Fundstück aus dem Antiquitätenkatalog. Schönheit und Schrecken liegen hier so nahe beieinander wie Ernst und – makabrer – Humor. Wiederum erst auf den zweiten Blick offenbart die blatthafte Applikation auf der Stirn des mit zartem Bleistift gekennzeichneten Mädchens ihre vaginalen Anklänge. Die Schutzlosigkeit des Kindes und eine latent bedrohliche Erotik bilden stete Intervalle im schier unerschöpflichen Motivrepertoire dieser Künstlerin. Ihre Bilder scheinen aus Träumen aufzusteigen. Anklänge an die frühen Collagen Max Ernsts und die surrealen Szenarien eines Edgar Ende drängen sich auf. Doch gerät Endres transparent tonige, farblich verhaltene Malerei niemals in den Verdacht des Epigonalen.

Stefan Tolksdorf

Aus Markgräflerland - Künstlerland

Elisabeth Endres

„Seit ich die Welt bewusst wahrzunehmen begonnen habe, kam sie mir höchst seltsam vor. Diese sklavische Bindung an Begriffe von Ordnung, die im Grunde doch für niemanden taugt. Meine Aufgabe ist es, ich zu sein. Zunächst einmal siehst Du etwas, was du noch nie zuvor gesehen hast: Du hast die Augen aufgemacht, und da war eine Welt, sehr sonderbar. Du hast sie auf deine Weise gesehen. Nicht wie andere. Und bleibst Deiner Weltsicht treu, dem , was Du siehst und denkst, Du ganz persönlich.“

Saul Bellow, Schriftsteller

So sieht die Künstlerin Elisabeth Endres den Ursprung ihrer Kunst. Ihre Bilder erinnern an Märchen, Kindheitserinnerungen, Traumbilder oder rätselhafte Botschaften früherer Generationen. Sie nennt diese kryptischen Figuren Ausgrabungen. Spuren, die die Verbindung zum Vergangenen herstellen. War es früher das Packpapier, so verwendet sie heute als Malgrund Blätter alter Auktionskataloge, die sie zunächst mit Bienenwachs grundiert und hiernach mir Ölfarbe bemalt. Die gewählte Farbpalette beschränkt sich auf schwere Gelb- , Braun und Schwarztöne, gelegentlich ein Streifen, eine Figur in rot. Aber das ist die Ausnahme und beabsichtigt. Diese Figuren wirken wie nachträglich eingebrachte Kürzel und wie skizzierte Bemerkungen – zwei Betrachtungsräume. Die ältere Schicht wird mal hier, mal dort durch Ausschaben freigelegt, als wenn bereits Vergessenes oder Verdrängtes wiedererscheint. Da glaubt man, alte vergilbte, braunstichige Erinnerungsfotos in den Händen zu halten. Gemalte Antiquitäten, Silhouetten, Teppiche, Vasen, Zöpfe, Ornamente – Elisabeth Endres taucht ein in die Geschichte vergangener Generationen, vergangener Werte, vergangener Zeitzonen. Dem Archäologen gleich gräbt sie nach Verborgenem. Erinnerungen, Erfahrungen und Unbewusstes sind ihre Funde, jeder für sich jeweils unabschließbar und in der Entwicklung stetig wachsend.